Sonntag, 17. Juni 2012

Märchen über die zweite Jugend

1. Kapitel, Ein schöner Brief

Es war einst eine schöne Frau,
die wandte sich zum Welken.
Sie sah im Spiegel ganz genau,
um ihre Augen Fältchen.

Was blieb, war ihr Pupillenglanz
aus jugendlichen Tagen,
der blieb ihr treu, den hielt sie ganz,
der ließ sich schicklich tragen.

 Sie sah sehr gern zum Fenster raus,
derweil die Welt ergraute.
Ein Mann ging täglich vor dem Haus
vorbei, er grüßte, schaute.

Er nickte ihr und hob die Hand
sein Winken traf sie zärtlich.
Sie liebte das, doch ach, sie fand,
sich zunehmend entbehrlich.

Sie welkte wie ein Rosenblatt
dahin in kalten Stunden.
Sie fühlte sich vom Leben matt,
ihr Glück schien ihr entschwunden.

Doch eines Tages kam ein Brief
voll zärtlicher Gedanken.
Der Postmann bracht’ ihn, als sie schlief,
sein Inhalt ließ sie wanken.

Ein unbekannter Lebemann
besang sie kühn, gediegen.
Ihr Dichterherz erlag, gewann,
ihr Pulsschlag wollt’ versiegen.


2. Kapitel, Briefe und Gedichte

Der erste Brief war anonym,
der zweite eher ungestüm,
der dritte rührte jedes Herz,
der vierte zeigte Lebensschmerz.

Die reife Frau ließ alle auf sich wirken,
sie fragte sich: Wer will mich so bemerken?

Der Dichter zeigte sich nicht gleich,
die Muse schien ihm viel zu reich.
Erlag er auch der schönen Frau,
so wusste er doch zu genau:

Nur menschliche Begegnung ebnet Wege,
drum schickte er ihr bald sein Bild, verlegen.

Das Musenherz, erwärmte sich,
sie schrieb zurück, besang ihr ich,
Kein Tag strich wortlos mehr dahin,
das Leben floss im neuen Sinn.

Der Dichter trat vernehmlich aus dem Schatten,
die reife Frau begann ihn zu erwarten.  


3. Kapitel, Verjüngungskur

Sie sah sich neu im Spiegel an,
die Frau mit den Gedichten.
Der Dichter brach den Altersbann,
die Falten, sie entwichen.

Kein Make-up hätte das geschafft,
nicht Heilkraut oder Pharmazie,
Die Haut der Frau ward neu gestrafft,
gedieh in frischer Harmonie.

Sie strahlte aus dem Inneren,
sie fühlte sich wie neu gebor’n.
Die Jugend wirkte näher, denn
sie war als Muse auserkor’n.

In ihr entstand ein inneres Verlangen,
das Dichterherz mit Worten einzufangen.

Bald sah sie aus wie zwanzig Jahr,
erblühte wie ein Tulpenbaum,
mit lockig kurzem Strähnenhaar,
erwuchs des Dichters schönster Traum.

Sie war für ihn die Zauberfee,
trat aus dem Sternentor ans Licht,
war Königin aus Eis und Schnee,
ein Fabelwesen war sie schlicht.

Das schreckte ach, das Frauenherz,
das Fräulein wollte kleiner sein.
Drum flößte es manch dumpfen Schmerz,
dem Dichter in die Kehle ein.

Sie liebte ihn, doch sollte er erkennen,
zu viel der Leidenschaft vermag zu trennen.


4. Kapitel, Irrungen und Wirrungen

Sie schwieg, wenn neue Briefe kamen,
das warf den Dichter jäh zurück,
entschwinden sah er bald sein Glück,
ein Unheil wollt’ er wissend ahnen.

Verloren schien der Zaubernamen
mit dem er einst die Frau bestückt,
der Kummer fraß ihn Stück um Stück,
sie machte ihn zum Untertanen.

 Drum setzte er mit Feuerworten
was schon geschrieben stand in Brand.
Wollt’ all die Anmut nicht mehr horten,

Die einst er bei der Schönen fand.
Es zog ihn zu entfernten Orten,
beseelt von hehrem Unverstand.


5. Kapitel, Melancholie

Die Schöne hielt den letzten Brief in Händen,
sah ihre Schönheit bröckeln wie Zement.
Der Dichter wollt’ der Worte Strom beenden,
sie sah sich von dem Jugendquell getrennt.

Sie hatte es wohl etwas übertrieben,
als sie die Stimme nimmermehr erhob.
Die Stille ließ den Dichter weiter lieben,
doch fühlte er, wie sich die Welt verschob.

Bekümmert trat er nun aus ihrem Leben,
und eilte mit gesenktem Haupt davon.
Die Schöne sah ihr süßes Glück entschweben,
ein böses Schicksal lächelte voll Hohn.

Sie wollt’ den Weg nicht länger beibehalten,
der einst sie mit dem Dichterfreund verband.
Sie dachte: „Meister Trübsal, magst du walten,
einst spült es mir den Dichter an den Strand.“

Am nächsten Tag, verließ sie ihr Mauern,
und wandelte durch Straßen ihrer Stadt.
Da lag ein Blatt, das ließ sie doch erschauern,
am Boden, das ihr Freund geschrieben hatt’.

Er suhlte sich darin in seinen Wunden,
bedauerte sein letztes hartes Wort.
Das führte sie zurück in schöne Stunden,
die Stunden ihrer Freundschaft waren fort.

So schrieb sie ihrem Dichter nur zwei Zeilen
Und bot ihm ihre Nähe wieder an.
Der Dichter wollte gern bei ihr verweilen,
das Angebot entwaffnete galant.


6. Kapitel, Neue Tiefe

Am Morgen nach dem großen Streit
ergab sich die Gelegenheit,
dass zwei sich trafen, die sich gleich erkannten.
Ein Mann ging vor dem Haus vorbei,
er winkte täglich, grüßte frei,
derweil die Frau Gefühle übermannten.

Sie eilte schnell zur Tür hinaus
schloss sich dabei beinahe aus -
da stand er, einen Brief in seinen Händen.
Die Frau erstarrte, wusste gleich,
das war der Dichter, fahl und bleich,
er wankte, suchte sich schnell abzuwenden.

Sie hielt ihn auf, bat ihn zurück,
er zögerte beim Weg ins Glück,
doch wollt’ sie es beim Zögern nicht belassen.
Er drehte sich zur Muse um,
stand wie erstarrt, ganz still und stumm,
anstatt den schönen Glanz der Frau zu fassen.

Ein Augenblick des Glücks verstrich,
das Dichterbild, es zeigte sich -
die Schöne mochte ihn am Blick erkennen.
So bot sich die Gelegenheit
persönlicher Verbundenheit,
man darf das gern „Moment der Liebe“ nennen.

Die Schöne, sie errötete,
das Dichterauge nötete,
den Mann vor ihrem Hause zu umarmen.
Er trat zurück und ging davon,
da flossen bitt're Tränen schon,
das Schicksal zeigte keinerlei Erbarmen.

So sahen sie sich jäh getrennt,
obwohl sie sich doch stets ersehnt,
doch Menschen leiden gerne solche Qualen.
Sie gingen einen Schritt zurück,
vermehrten damit noch ihr Glück,
die Liebe sollte später erst erstrahlen.


 7. Kapitel, Leidenschaft


Als Wochen verstrichen
und Tage verblichen,
erstarb der Gedanke
an Stunden zu Zweit. 
Erinn'rungen wichen,
ein hungriges Siechen
erfasste die Beiden,
verdarb ihre Zeit.

Verpasst schien die Chance,
nur eine Nuance,
ein falsches Verhalten,
der Taumel missglückt.
Der Schönen Balance,
des Dichterworts Trance,
die Zeichen der Liebe -
auf ewig entrückt.

Mit traurigen Mienen,
die hoffnungslos schienen,
mit hängenden Häuptern,
den Boden fixiert -
So mochten sie dienen,
so gönnte man's ihnen,
so durften sie schlendern
mit Feigheit garniert.    
   
Sie rammten zusammen,
aus Zufall zusammen
auf offener Straße
bei Tage, zu zweit.
Sie hörten sich stammeln
Sie standen in Flammen,
die Liebe, sie drängte,
da kam ihre Zeit.

Als sie sich umarmten,
sich endlich erbarmten,
da brachen die Dämme,
sie spürten ihr Glück.
Der Widerstand lahmte, 
die Leidenschaft bahnte
den Liebenden Wege-
es gab kein Zurück.

  Mit feurigen Küssen,
in höchsten Genüssen,
genossen sie beide
den ewigen Tanz.  
Er lag ihr zu Füßen,
sie ließ es nicht büßen,
sie liebten einander,
verbanden sich ganz.

 Wenn zwei sich erkennen,
sich namenlos nennen,
Gedanken erfühlen,
dann weicht alle Not.
Man darf sie nicht trennen,
nicht treiben, nicht hemmen,
dann hält ihre Jugend,
erschreckt sich der Tod.

...und wenn sie nicht gestorben sind
dann Leben sie noch heute?

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